Traumata, Träume, Schaum vorm Mund

Facebook-Posts Regina Schleheck Februar bis September 2020

 

 

26.02.2020

Corona in Lev?

 

12.03.2020

Ausklang des Hörspielkurses. Sämtliche Kneipenbesucher mussten sich in Listen eintragen, damit sie ausfindig gemacht werden können ...

 

21.03.2020

Anlässlich der Absage der Preisverleihungsfeier für den ersten Platz des Landschreiber-Literaturwettbewerbs: In Corona-Zeiten erhält man Auszeichnungen per Briefkasten statt im Schloss zu Jever.

 

14.04.2020

Heute Morgen nach Wochen Klopapier ergattert. Bei Ladenöffnung vor der Tür gestanden - Viertelstunde später alles weg. Jede/r nur ein Paket.

 

19.04.2020

Es kommt einem vor, als sei es Äonen her - die Lesung in Wiesbaden zum Frauentag am 08.03. war das letzte Highlight vor dem Grauen …

 

07.05.2020

Die Klopapierregale immer noch leer. Auch Nudeln und andere Grundnahrungsmittel - spärlich, nur wenige teure Sorten.

 

08.05.2020

So gelacht. Verschwörungstheoretikerbeitrag: Videozitat: "Es gibt keine Seuche ..." - Schaum vorm Mund. Corona-Lüge, Lüge, Lüge! Wir werden verarscht! Der Virus existiert gar nicht! - Leider vergessen, den Schnitt vor dem Relativsatz zu machen, "..., die nicht ..." ...

Was mich in Corona-Zeiten am meisten beschäftigt? Die erschreckende Wut und Blödigkeit - und die beeindruckende Aufopferungsbereitschaft und gegenseitige Unterstützung.

 

16.05.2020

Gestern drei Stunden lang in Videokonferenzen Ängste und Wut von Schülern angehört. Kein einziger fand die Hygienemaßnahmen unangemessen. Nur wenige waren mit den Laschet-Lockerungen einverstanden. Viele waren stinkesauer, wie „mit unserem Leben gespielt“ wird. Darunter ein Corona-Erfahrungsbericht aus dem engsten Kreis, Anfangdreißiger ohne Vorerkrankung, der tagelang mit dem Tod rang.

 

19.05.2020

Uns fehlen 20 Jahre Investitionen in Schulgebäude, Personal und Ausstattung. Für Hygieneschutzverordnung entsprechenden Präsenzunterricht müssten schulische sanitäre Anlagen saniert, die Anzahl der Klassenräume und das Personal mindestens verdoppelt werden, weil alle Klassen gehälftelt oder gedrittelt werden müssen. Für den Online-Unterricht müssten sämtliche SchülerInnen und LehrerInnen mit Laptops ausgestattet werden. ...

Da sich alle paar Tage Vorschriften und Bedingungen ändern, muss permanent umorganisiert und -geplant werden. Zwischenzeitlich versucht man sich irgendwie durchzuwurschteln. ...

Habe mir von angehenden Abiturienten sagen lassen, dass sie, da sie das Fach Deutsch sowieso nicht als Abiturfach wählen werden, auf den Stoff der 12.2 - immerhin zwei Lektüren - verzichten. Es kann ihre Halbjahresnote nicht verschlechtern, ob sie etwas tun oder nicht. In der 13 steht anderer Stoff auf dem Plan. Einen großen Teil der SchülerInnen erreiche ich ohnehin nicht, sie reagieren auf keine Mails oder Teamsitzungseinladungen. Wenn sie höflich sind, teilen sie mir immerhin mit, dass sie keine Zeit haben, weil sie arbeiten gehen.

 

30.05.2020

Reformen. Jetzt führte kein Weg mehr daran vorbei. Stattdessen kümmert man sich lieber um Konzerne, als um die zukünftigen Generationen.

 

15.06.2020

Anno knippendulli begannen wir an den Schulen mit lo-net zu arbeiten. Nach Dekaden des Hin und Her und Ausprobieren und Lernens und Arbeitens mit und Prüfens von Praktikabilität und Datenschutz und neuer Suche und neuen Tests, zuletzt mit Moodle und Zoom und jeder Menge interner Schulungen sind wir jetzt mit Teams unterwegs. Am 01.06. - in Worten: am ersten Juni 2020 - erfahren wir nun - tadaaah! - dass die NRW-Landesregierung eine Lernplattform zur Verfügung stellt, auf die alle Schulen umsteigen sollen. Aufgrund der Corona-Krise habe man das System "schneller als geplant" fertiggestellt. Ein paar Tage darauf heißt es, die (faulen, verschnarchten, unselbständigen) Lehrer sollten sich in den Sommerferien fortbilden. "Wann alle Lehrkräfte mit einem digitalen Endgerät ausgestattet werden, konnte die Ministerin allerdings nicht sagen." Und die Schüler*innen? Äh. Ja.

 

01.07.2020

""Wir machen, was wir in Nordrhein-Westfalen für richtig halten" ... Landesweite Testungen von Schülern und Lehrern nach den Sommerferien hält (Ministerpräsident Laschet) nicht für erforderlich."
Stimmt, liebe Menschen, der Text wurde willkürlich gekürzt. Etwas Unabdingbares fehlt zwischen diesen Sätzen. Eine Begründung. Ich konnte sie nicht finden. Dafür einen Rechtschreibfehler. Der Pluralis Majestatis wird groß geschrieben.

 

15.07.2020

Gender-Diversität in Corona-Polit-Talkshows? Corona ist halt ein Männer-Ding. Oder kennt man eine Frau, die dazu forscht oder davon betroffen ist, die man dazu einladen könnte? Spannend auch eine Diskussionsrunde zu Schulen in der Coronazeit. Da gab es tatsächlich eine weibliche Expertin, Collien Ulmen-Fernandes, Schauspielerin, Model und Ehefrau von. Offensichtlich unter anderem Mutter. Die wusste fundiert zu berichten, dass Lehrer vom Internetzeitalter bisher verschont geblieben seien. Für solche Befunde wird gern auf Frauen zurückgegriffen. Die gut aussehen und irgendwie famous sind.

 

18.07.2020

Dass Herr Tönnies Lohnkostenerstattung fordert, haben Politiker sich selbst zu verdanken. Hochgehätschelte Kapitalisten werden gerne mit Honoratioren verwechselt. Honorig ist eine andere Kiste.

 

30.07.2020

Ich kenne an/mit Corona Verstorbene. Eine Freundin meiner Söhne, Intensiv-Krankenschwester, bestätigte: erschreckend viele junge Menschen ohne Vorerkrankung, viele alte, die es nicht überleben, Langzeitschäden ...

… vor zwei Wochen mit einem ehemaligen Schüler gesprochen, topfit, der unter den Folgen einer Corona begleitenden Hirnhautentzündung leidet.

 

01.08.2020

Berliner Demo gegen Corona-Maßnahmen: Vielleicht sterben die Bekloppten auf die Art und Weise ja aus? Ich hoffe bloß, dem Demonstrationszug geht nach dem Vorbild der mittelalterlichen Leprosenzüge ein Klappermann oder Schellenknecht voraus. In den Folgewochen bitte Narrenkappen für alle Corona-Leugner, sodass wir einen weiten Bogen schlagen können.

 

08.08.2020

Zum Glück hat die Schulbehörde nach der Digitaloffensive - 2017 erhielt an unserer Schule jede*r Lehrer*in einen Stick - die Pandemieoffensive eingeleitet: Zum Schulbeginn 2020/21 erhält jede*r Lehrer*in im Sekretariat eine Maske ausgehändigt. Hoffentlich keine Aktion zum Wegschmeißen. Obwohl - irgendwie eigentlich doch ...

 

18.08.2020

Heute Coronaoffensive Teil II.
(Wer Teil I verpasst hat: Es gab eine Stoffmaske für umme. Für das Landespersonal. Nicht für Sozialarbeiter*innen, Hausmeister, Sekretariat.)
Dazu spendiert Herr Laschet allen Lehrer*innen (s.o.) freiwillige Tests.
Ich also Punkt für Punkt wie auf dem Schreiben vorgeschrieben vorgegangen: Anruf beim Hausarzt. Der testet nicht, verweist auf das Testzentrum. Anruf beim Testzentrum für einen Termin: Brauchen Sie nicht. Einfach kommen und die Bescheinigung mitbringen.
Am Vortag erfahre ich von Mitbewohner, er habe als Risikoauslandsurlauber im selben Zentrum einen Termin bekommen.
Zurückgekehrt: alles easy.
Rechnung?
Nö, geht direkt an den Bund.
Wartezeit?
Trotz Termin eine Stunde. Alle ohne Termin wurden weggeschickt.
Oha.
Ich also ohne Termin hin. Schweißvonderstirnwisch: Nicht weggeschickt worden. Schreiben wie vorgeschrieben vorgelegt.
Man will meine Adresse für die Rechnung: Sie bezahlen das dann, kriegen Sie aber wieder. Steht da ja. Reichen Sie das bei der Beihilfe ein.
Mooment. Das ist keine Beihilfeangelegenheit.
Oder lassen Sie sich eine Überweisung geben.
Mooment. Auf diesem Zettel steht ... Sie haben am Telefon gesagt ...
Dann geben Sie die Rechnung bei Ihrer Schule ab.
Die Adresse der Schule steht auf der Bescheinigung. Dann schicken Sie die Rechnung doch dorthin.
Nee, Sie müssen hier unterschreiben, dass Sie das bezahlen.
Mooment. Da steht, dass Sie das an meine gesetzliche Krankenkasse schicken und die mir das in Rechnung stellt. Das kann ich so nicht unterschreiben. Ich bin privat ...
Egal. Unterschreiben Sie.
Done.
Lehrer*innen sind echt schwierig.

 

22.08.2020

Merkwürdiges Gefühl, an eine Premierenlesung erinnert zu werden. Als hätte es so etwas wie Lesungen nie gegeben.

 

28.08.2020

Für Demos gegen Maskenpflicht
gilt Maskenpflicht künftig nicht.
Mehr noch: Laut lascher Laschetscher Diktion
Testet man an der kommenden Generation
Nicht nur im Bio-Unterricht
Ohne Mundschutz dicht an dicht
Darwins Theorie der natürlichen Selektion.
Merkt ihr's? Holprige Reime sind noch lang kein Gedicht.
Und auch das Versmaß stimmt hier nicht.
Doch wenn nix passt, dann passt das schon
Zur Corona-Insuffizienz der Nation.

 

28.-30.08.2020

Bilder von Corona-Demo Berlin. Menschen, die sich dicht an dicht drängeln, jubeln, Fahnen schwenken, Drohungen ausstoßen. Der fehlende Abstand ist das eine. Schlimmer der fehlende Anstand …

Kleine Kinder, die man mahnt, stecken sich die Finger in die Ohren und singen: "Lalala, ich hör dich nicht!" Hier wird auf jede Bitte, sich an die Corona-Regeln zu halten, mit einem Pfeifkonzert und "Schließt euch an!"-Rufen in Richtung Polizisten reagiert. Und nichts passiert. Da hat Laschet im Hambacher Wald umgekehrt proportional Geschütze aufgefahren. ...

"Fest der Liebe" nennen es die Sich-selbst-auf-dem-Rücken-anderer-Feierer, die Rechtsradikalen-und-sich-mit-Rechtsradikalen-Verbrüderer, die Reichstag-und-Polizei-Anschluss-Schreier-und-Stürmer und checken nicht das verheerende Abschreckungspotenzial der Bilder, an denen sie sich berauschen. ...

Die verzerrende Wiedergabe in den Medien wird beklagt. Das Problem ist offensichtlich nicht, dass nicht nahezu alles gezeigt wird, sondern dass es tatsächlich - ganz Gallien? - im immer aggressiver umkämpften Segment der Berichterstattung noch so etwas wie Bemühen um Seriosität jenseits persönlicher Dunstwolken gibt. Schwer zu ertragen, weil ein nicht immer größer, aber medial immer lauter werdender Teil der Bevölkerung sich zutiefst verunsichert zu fühlen scheint, wenn er mit etwas konfrontiert wird, was seine Gewissheiten ins Schwanken bringen könnte. Nein, nicht (nur) komplett Verblödete, Gewissenlose, Psychopathen, Rechtsradikale, Hassprediger. Sondern Menschen mit Regenbogenfahnen, Linke, Intellektuelle, Engagierte, Unrechtsbekämpfer*innen. Menschen, die aufgrund von vollkommen berechtigter Verärgerung über die Not der Soloselbständigen in Corona-Zeiten jegliche Verantwortung für die Tragweite des eigenen Handelns wegschwurbeln. ...

Sendungen von zum In-Grund-und-Boden-Schämen bis zum Bemühen um Verstehen und Verständnis und last not least unanfechtbar neutrale Berichterstattung. Ich bin zutiefst dankbar, dass es sie gibt. Noch.

 

04.09.2020

Ein Staatschef lässt ermorden, wer ihn kritisiert. Vor seiner Botschaft stehen Menschen, die es als Terror empfinden, in Zeiten einer Pandemie Hygieneregeln einzuhalten, und die ihre Staatschefin dafür an den Galgen bringen wollen. Als wenn Gift und Galgen Menschen glücklicher machen ...
Wer kann mir einen Diktator empfehlen, der Menschen mit ähnlichen Leiden ein entsprechend dimensioniertes Bällebad spendiert? ...

Covid 19 in Moria? Zaun drum! In dem Punkt sind's die Vereinigten Staaten von Europa.

 

05.09.2020

Querdenker-Demo gegen Corona-Maßnahmen in Wien: Die Frieden-und-Freiheit-Schreier zerreißen auf offener Bühne eine Regenbogenflagge. Der Riss geht mitten durchs Herz (auf der Flagge). Dazu wird etwas von Kinderschändern ins Mikrofon gekreischt, Vielfalt der Lebensformen mit Pädophilie gleichgesetzt. Was ist die nächste Stufe der Pervertierung, Dämonisierung und Hetze? Rothaarige auf den Scheiterhaufen? Intellektuelle in die Steinbrüche? Transgender aufs Rad flechten? Totaler Krieg?
Vor allem: Was ist bitteschön die Alternative zu einer toleranten Gesellschaft, die sogar euch erträgt? Schwarz sehen? Graue Herren? Brauner Sumpf? Weiße Herrenrasse? Oder welche der Farbe des Regenbogens ist genehm?
Vielleicht sollten wir uns mal auf die rote Karte einigen.

 

19.09.2020

Buchneuerscheinung: Bei diesem Buch war der Weg zwar nicht das Ziel, aber es war einer. Indem die Autoren, die Themen und das Konzept on the flight und unter coronabedingt existenziellem (Zeit-)Druck mehrfach modifiziert bzw. ausgetauscht wurden ...

Gestern erfahren, dass sich in Sachen Schule etwas bewegt: Endlich wird es wieder "richtigen" Sport geben, wie die SchülerInnen es nennen: Auch in der kleinen Gymnastikhalle, in der es noch nicht einmal Umkleideräume für Jungen und Mädchen, geschweige denn entsprechende Toiletten gibt, werden wieder volle Klassen ohne Maske sporteln.
Trotz steigender Infektionszahlen?
 


Regina Schleheck

wurde 1959 in Wuppertal geboren, wuchs in Köln auf und wohnt heute in Leverkusen, wo sie an einem Berufskolleg unterrichtet. Sie schreibt Kurzgeschichten und Hörspiele, Erzählungen, Drehbücher und Theaterstücke. Ihre Texte wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Phantastikpreis 2008. Neben zahlreichen Lesungsauftritten betätigt sie sich auch als Herausgeberin, Mentorin und Dozentin und leitet unter anderem das Literaturlabor Leverkusen.

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