gedankenmagazine

NUR Einen Satz aufschreiben/ Gedanken Magazin (Simone Scharbert)

 

1.

anfang. an-gefangen. die Sonne läuft am Himmel hin und her, wie ein Tier in der Falle!*[1]

ich bin festgepflanzt. in mein haus. gießen muss ich mich selbst. gedankenmagazine blättern durch meinen kopf. ich verlege das soziale ins fantastische. ins netz. das netz im netz. so viel fantasie muss sein. benetztes gedankenmagazin. kontaktabrechungen. körperleitungsstörungen. jetzt erinnere ich, dass ich ein single jingle (ein wort er-tragen) ohne kinder bin. ein geklimper, das niemand hört. außerhalb der fantasie der mehrheit. erinnern und vorschmecken. so ist‘s wenn du bist retired! das gedankenmagazin heißt ungewissheit. lautlos. hautlos. lückenvoll.

nach tagen der gefangenschaft geht eine tür auf, nicht ins außerhaus. durch worte/ etwas haut“ haben*[2] und luft.

„Das einzige, was mich noch an das Fortschreiten der Zeit erinnerte, war die Arbeit an einer neuen Erzählung. Ich spuckte ein schimmerndes Seidengarn aus dem Mund und bildete einen Gedankenkokon, in dem es mehr Sauerstoff zum Einatmen gab als auf einem Bürgersteig!“*[3]

ich hab nicht gewusst, dass ich vorräte habe. rücklagen. geheime reime. glänzende posamenten. heimatbellen. ich klöpple komposita. seebellenwellen. fantastische. wortspitze. berührungsspeicher. von gestern von morgen. nach ersten erstarrungen ziehe ich mir die worthaut über. glückshaut. in alle lücken dringend. sätze. ohne mich zu fragen, entwickelt sich das schreiben fort. die zeit kommt zu besuch. und geschöpfe. die (mit mir) durch wände gehen.

 

 

2.

geschöpfe. geräusche. aus dem immer noch vollen schöpfen.

„aber sie starrte nicht nur ins Leere; Sie horchte auf alle Geräusche, die die Welt zu bieten hatte, auf all die Menschen an den Orten, die die anderen nicht sehen konnten. Sie streifte umher.“*[4]

blanka beirut zum beispiel. die kölsche späherin mit den blonden libanonlocken, umgeben von lateinischen mittelostbuchstaben. sie trägt fäden. textteppiche entstehen. ich wickle ein knäul ab. libanon, Blaublau[5], krieg, vater, wörter. er-innern von hautfarbe (und gefahr). jetzt erinnere ich, dass ich nicht weiß bin. das ist noch mehr luft. und weniger. plötzlich angehörig sein. blanka beiruts sprachen leuchten weiß und schwarz. und ihre geschöpfe flattern in ihrer handtasche. wörter, sprachen, nymphensittich. jetzt höre ich jeden morgen das glissandierende schreien der giftgrünen kölnsittiche. das glockenspiel der finken in der balkon-minze. die amselkolloratur, die tiefe taubenflöte. ich bin ein geklimper mit besuch. ein tingle jingle. die kinderstimmen im hof. coronabierus, rufen die vier, und rauben der carearbeiterin den atem.  sie, ebenso verpflanzt. am herd rankend. umschooling in dünner luft. zeitlos. wir winken. ich im zeitkostüm. umringt von geschöpfen. plötzlich auf der brüstung das glöckliche blöken eines ara-bischs.

 


3.

der ara-bisch. an-gehören. hören.

ein vogel mit schwarzbunten federn. und einer schafähnlichen stimme. ich höre ihn nun jeden tag. der sommer öffnet türen. ich darf wieder ins außerhaus. meine schritte sind von welten. die carearbeiterin verlässt den herd. aber auf abruf. das ist gesetz. tummeln, hummeln und gemeinsammeln ist mir wieder möglich. in meinem haus schreibt und bleibt der ara-bisch. ein rabenblitzen im textgewebe. jetzt erinnere ich, blanka beirut zu sein. ein deutschlibanesisches sammelsurium. ein mingle jingle. ein posamentenladen ein gedankenmagazin. neue vorräte anlegen. ein kosmos. wolken wie alternde blumenkohle ändern daran nichts. die notwändigkeit des anhörens und angehörens. anwachsendes schreiben. der ara-bisch hat eine goldwaage im gefieder. für wörter und unsichtbares. ein antennenkind. eine arabisch schwarze sonne, eine sonne gelb und blau[6].  ein goldenes hohles kamel. moria, taylor und celle. hanau und floyd. das braun der tage. ich höre: „braun ist auch nur eine farbe!“ kuscheln mit der sagenichtsmasse. in der das braun der tage wächst.

alle werfe ich in die waagschale. wort für wort. farbe für farbe. außerhaus wird außersich. wegen der wörtergoldwaage. weiße zerbrechlichkeit. ein gelber morgen auf einer grünen sonne eine blumeblume auf einem blaublau aber[7]

ich werde trotzdem tulpensprachen übersetzen, denke ich. bechrige vokale. schlückelnde konsonanten. fedrige zwielaute. gegengiftige sprache. raus aus verstecken unter den zungen der welt. jetzt höre ich den herbst. it‘s gonna be a dark winter, sagt er.

 


[1] Etel Adnan: Arabische Apokalypse, Suhrkamp

[2] Simone Scharbert, LOGBUCH: WARTEN IN EINEM IRREN HAUS, www.simonescharbert.de

[3] Yoko Tawada in stadtsprachen.de/text/der-weltbuergersteig/

[4] Yaa Gyasi, Heimkehren, Dumont

[5] Etel Adnan ebda

[6] Etel Adnan ebda

[7] Etel Adnan ebda


Andra Karimé

ist 1963 in Kassel geboren und in einem libanesisch-deutschen Haushalt mit dem Klang vieler Sprachen aufgewachsen. Nach dem Studium der Musik- und Kunsterziehung hat sie 4 Jahre lang in Kassel in einem Treffpunkt für Flüchtlinge gearbeitet und war danach 12 Jahre Grundschullehrerin in Leverkusen. Zusatzausbildungen in „Kreatives Schreiben“ und als Geschichtenerzählerin folgten.

2004 erschien ihr erstes Buch im Konkursbuchverlag, seitdem veröffentlicht sie Lyrik, Prosa, Kolumnen und Kindergeschichten. Für ihre Kinderbücher erhielt Andrea Karimé viele Auszeichnungen, zuletzt den „Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur 2012“ und das „Istanbul-Stipendium der Stadt Köln“. Heute lebt und schreibt sie in Köln, verreist aber gern auch in andere Länder. Besonders lange war sie in Istanbul und in Kairo.

http://andreakarime.de

https://www.buchstabenrascheln.com/blog