"Die Schere im eigenen Kopf wäre fatal"

Krimiautor Horst Eckert im Interview

Horst Eckert gehört zu den profiliertesten Krimiautor*innen im deutschsprachigen Raum. Seine Bücher gehen dahin, wo es wehtut, persönlich und gesellschaftlich. Im Interview erzählt er, was ihm gegen die Corona-Blockade hilft, was ihn als Autor an der Pandemie interessiert, und was es braucht, damit Kultur – auch ohne Virus – nicht immer stromlinienförmiger wird.


Lieber Horst, zu Beginn des Lockdowns bekamen Autor*innen zu hören: „Okay, ihr könnt keine Lesungen mehr halten, dafür habt ihr jetzt ganz viel Zeit zum Schreiben.“ Oberflächlich betrachtet, stimmt das vielleicht. Doch viele Kolleg*innen berichten, dass die Pandemie ihre Kreativität über Wochen oder gar Monate blockiert habe. Wie ist es dir damit gegangen?

Horst Eckert: Ich war wochenlang wie gelähmt. Mein neuer Thriller war gerade erschienen und lief drei Tage lang so gut, dass der Verlag in die dritte Auflage ging, dann schlossen die Buchhandlungen. Ich hatte allein für das Frühjahr gut vierzig Lesungen vereinbart und war nun damit beschäftigt, wenigstens einen Teil in den Herbst zu retten. Es war die Zeit, in der ich das Joggen und Radfahren entdeckte. Immerhin war das Wetter schön. Später konnte ich zum Glück alles nachholen und schrieb und schrieb.

Literatur darf und muss bisweilen polarisieren. Bei politischen Reizthemen wie Migration, Klima etc. sind klare Haltungen gefragt. Angesichts der Pandemie scheint derzeit allerdings vor allem differenziertes Abwägen angesagt zu sein. Als ein Autor, der durchaus gesellschaftskritisch schreibt – beeinflusst das deine Arbeit?

Horst Eckert: Beim Schreiben differenziere ich ohnehin. Jede Figur hat ihre eigene Haltung und Meinung, und die stimmt natürlich nicht immer mit meiner überein, und schon gar nicht hundertprozentig. Literatur darf aber nicht weichgespült sein im Willen, allen zu gefallen. Denn dann gefällt sie niemandem richtig. Das Buch darf kein Kompromiss sein. Es muss polarisieren, aber über die Handlung und ihre Figuren, nicht über den erhobenen Zeigefinger des Autors. Das Lesen darf uns nicht belehren, sondern muss in erster Linie unterhalten. Was nicht ausschließt, dass es den Horizont erweitert und das Denken anstößt - ich hoffe, auch im Fall meiner Romane.

 

"Wie ticken die Leute, warum rasten sie mal wieder aus?"

 

Noch konkreter gefragt: In deinen Krimis bist du mancher Verschwörung auf der Spur. Die sind oft näher an der Wirklichkeit, als uns Leser*innen lieb sein kann, Stichwort NSU-Terror, Verstrickung von Geheimdiensten etc. Im Kontext von Corona haben sich Verschwörungstheorien allerdings auch zum Markenzeichen rechtsextremer, menschenfeindlicher Parteien und Gruppierungen entwickelt. Wenn du an den nächsten, den übernächsten Plot denkst – hemmt dich so eine Entwicklung oder spornt sie dich an?

Horst Eckert: Zum ersten Mal fiel mir das Dilemma auf dem Feld der Medienkritik auf. Als ehemaliger Journalist könnte ich stundenlang Medienkritik üben und baue in meinen Büchern gern Seitenhiebe gegen marktschreierische Schlagzeilen und recherchierfaule Reporter ein. Plötzlich kommt Medienkritik von rechts, man schreit „Lügenpresse" und wendet sich fundamental gegen die Presse- und Informationsfreiheit. Da ist natürlich Solidarität angesagt, aber die darf niemals unkritisch sein. Wenn Neonazis und Faschisten mit Verschwörungstheorien gegen die Demokratie hetzen, heißt das nicht, dass es niemals Verschwörungen gäbe – es sind nur eben andere, als die Rechten behaupten. Zum Beispiel Verflechtungen zwischen Extremisten und Sicherheitsbehörden, wie sie punktuell immer wieder entdeckt werden. Ich schreibe völlig ungehemmt. Die Schere im eigenen Kopf wäre fatal, der „freie Schriftsteller" nur noch eine verlogene Floskel.

Deine Krimis sind hart an der Wirklichkeit, spiegeln auch den Zeitgeist und die Abgründe der Gegenwart. Wird Corona in deinen Büchern demnächst eine Rolle spielen? Vielleicht nicht als „Thema“, aber was etwa die Schilderung von Alltagsgesten betrifft – Maske tragen, Abstand halten ... Oder kannst du das komplett ausblenden?

Horst Eckert: In meinem nächsten Thriller „Die Stunde der Wut", der im März 2021 erscheinen wird, spielen Virus und Pandemie keine Rolle. Die Menschen begrüßen sich mit Handschlag oder Wangenkuss. Das wird auch wieder zur Normalität werden, früher oder später. Aber ich will das Thema für die Zukunft nicht völlig ausschließen. Was mich interessiert, ist die gesellschaftliche und politische Reaktion auf Corona. Wie ticken die Leute, warum rasten sie mal wieder aus? Warum spaltet sich die Gesellschaft in hysterische Extreme? Warum wird für gewisse Zeit die Sicherheit absolut über die Freiheit gestellt? Wer treibt das an und wem nutzen diese Reaktionen? Man muss kein Verharmloser der Krankheit und kein Verschwörungstheoretiker sein, um sich darüber Gedanken zu machen.

Im Konzert der staatlichen Hilfsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Sofort- und Überbrückungshilfen sind Soloselbständige und insbesondere wir Künstler*innen (zumindest anfangs) komplett durchs Raster gefallen. Einerseits sind Staat und Gesellschaft dringend auf Kunst und Kultur angewiesen und sollten dafür sorgen, dass nicht tausende beruflicher Existenzen in diesem Bereich vernichtet werden. Andererseits muss Kunst immer auch autonom sein, in gewisser Weise staatsfern, bisweilen sogar subversiv; Künstler*innen brauchen innere und äußere Freiheit – wie kann das zusammengehen und wo siehst du Staat und Gesellschaft aktuell gefordert?

Horst Eckert: Kunst kann staatlich gefördert sein und trotzdem inhaltlich autonom. Gerade die schrägste, wildeste, subversivste Kunst ist ohne Förderung kaum denkbar. Zum weitaus größten Teil ist Kultur jedoch ausschließlich auf kommerziellen Erfolg angewiesen. Während städtische und staatliche Theater und Orchester auch in der Pandemie abgesichert sind, wirkt allein schon das Abstandsgebot für freie Theater und das Konzertleben tödlich. Aber auch ohne Pandemie wirkt der freie Markt vernichtend. Die Großen fressen die Kleinen, es herrscht das Recht des Stärkeren. Es gibt viele Ideen, wie Freiheit und Vielfalt unterstützt werden können. Damit nicht bloß das Stromlinienförmige überlebt. Vom Fonds, der Lesungen unabhängiger Buchhandlungen fördert, indem er die Autorenhonorare übernimmt, bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen.
 


Horst Eckert

Horst Eckert, 1959 in Weiden/Oberpfalz geboren, lebt seit vielen Jahren in Düsseldorf. Er studierte Politische Wissenschaft und arbeitete fünfzehn Jahre als Fernsehjournalist. 1995 erschien sein Debüt «Annas Erbe». Seine Romane gelten als «im besten Sinne komplexe Polizeithriller, die man nicht nur als spannenden Kriminalstoff lesen kann, sondern auch als einen Kommentar zur Zeit» (Deutschlandfunk). Sie sind in mehrere Sprachen übersetzt sowie preisgekrönt (u.a. Friedrich-Glauser-Preis für «Die Zwillingsfalle», Krimi-Blitz für «Schwarzer Schwan»).

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