Wenn die Welt unsere wäre

Ayla sagte leise: „Es geht doch nicht um dich, die meinen dich doch nicht persönlich. Es geht um uns alle, um – na ja – es geht längst um die Demokratie. Genau wie Finn sagt. Und du stehst jetzt quasi in der ersten Reihe, ob du willst oder nicht. Und wir stehen alle bei dir, hörst du?“

„Ja, Finn hat mit voll vielen Dingen recht“, erwiderte Nadiem. „Vor allem mit der Müdigkeit. Boah, Leute, ich bin so hart müde; jeden Tag diese Nadelstiche, dieses Misstrauen, dieser unterschwellige Rassismus; nach jedem Schritt vorwärts kommen zwei Schritte rückwärts und ab und zu ein Tritt in die Fresse.“ Mit einem Zug leerte er das zweite Bier. „Danke für eure Worte“, sagte er und stand von dem Barhocker auf. „Und danke für eure Zeit, das bedeutet mir was, wirklich. Beides. Aber ich bin nicht der Mann, für den ihr mich haltet.“ Das klang jetzt ein bisschen dramatisch. Er winkte der Wirtin und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Zahlen bitte.“ Und wieder zu Ayla und Finn: „Ich melde mich von dem Poetry Slam ab. Sonst bringe ich bloß alle in Gefahr.“

„Aber dann haben die gewonnen!“, protestierte Finn.

„Haben die eh“, rief Nadiem, „schon vor Jahren. Ihr wollt es bloß nicht wahrhaben. Seit Jahren dominieren die die Talkshows und ihre Positionen werden immer mehr Mainstream. Ihr könnt nichts mehr gegen die tun. Es ist viel, viel zu spät.“ Dann setzte er leise hinzu: „Ohne Text kann ich eh nicht beim Slam antreten. Ich hab nämlich die totale Schreibblockade. Und – wisst ihr was? Die Kandidatur ziehe ich auch zurück. Es gibt genug andere Leute, die Schulsprecher werden können. Oder Schulsprecherin.“


Drei Jugendliche ringen um ihre Freiheit: Harry kämpft sich durch die Ruinen der Nachkriegszeit, Jennifer landet wegen ihrer Regimekritik im brutalsten Jugendwerkhof der DDR und in der heutigen Zeit sieht sich der Slam-Poet Nadiem bei seinem ersten großen Auftritt einem rechten Mob gegenüber. Jahrzehnte trennen diese Geschichten voneinander und doch verbindet sie neben einem familiären Geflecht der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung, mit dem die drei Jugendlichen schnell an Grenzen stoßen – und der Mut, diese zu überwinden.

dtv
978-3-423-74126-2
ET 14.8.25
352 Seiten, 16,00 Euro
Ab 14 Jahren


Presse

Noch sind keine Rezensionen zu diesem Roman erschienen.


Making of

Am Anfang war Harry. Der wohnte schon lange in meinem Kopf und streifte 1945durch die Ruinen seiner Stadt. Er verwandelte sich allmählich von einem glühenden Hitlerjungen zu einem Demokraten und Jazzliebhaber – und war mir doch irgendwie zu wenig für einen ganzen Jugendroman.

Völlig unabhängig von Harry tauchte eines Tages Nadiem in meinem Kopf auf. Auch seine Geschichte ließ mich nicht mehr los, die in ein paar Punkten auf wahre Begebenheiten zurückgeht. Aber auch hier sprang in mir noch nicht den entscheiden Funken über.

Die eigentliche Initialzündung kam schließlich von Jenny, die wie aus dem Nichts auftauchte, an meiner inneren Tür klingelte und fragte, ob sie reinkommen dürfe. Ich begriff schlagartig, dass diese drei Geschichten zusammengehören. Alles ergab auf einmal Sinn und die Geschichte nahm fast von allein ihren Lauf.

Beim Schreiben tauchte ich in drei verschiedene Zeiten – neben unserer Gegenwart in die Wendezeit 1989-1991 und in die unmittelbare Nachkriegszeit 1945-1947. Was mir dabei sehr geholfen hat – neben Büchern, Gesprächen, Besuchen an bestimmten Orten und den berühmten Zetti Knusperflocken aus der DDR (von denen ich während der Arbeit am Roman ca. 700 Päckchen vertilgt haben muss) – war Musik. So hat es sich ergeben, dass in der Geschichte von Harry, Jenny und Nadiem viele Lieder aus unterschiedlichen Epochen auftauchen.

Wer mal reinhören möchte, findet hier eine Spotify-Playlist.